In diesen Tagen ist mir ein
Artikel von Uta Rasche in die Finger gekommen. Erschienen ist dieser in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Thema: Ehrlichkeit – eine abhanden
gekommene Tugend.
Um Ehrlichkeit im Alltag sei
es nicht gut bestellt, meinte die Autorin. Und redet klar von einer Unverschämtheit.
Schummeln ist kein Kavaliersdelikt. Unterlegt hat Rasche ihren Artikel mit
erschreckenden Fakten. 40 Milliarden Euro Sozialabgaben pro Jahr werden alleine
in Deutschland durch Schwarzarbeit „gespart“. Bei Steuern wird im grossen Stil
betrogen. Aber auch der kleine Mann nimmt es mit der Ehrlichkeit nicht so
genau. Sie verweist auf die Schwarzfahrer im öffentlichen Verkehr (3-6%). Auf
gestohlene Steakmesser, Stoffservietten und Salzstreuer in Restaurants. Die
Warnung des Branchenverbandes an alle Arztpraxen, in den Wartezimmern keine
aktuellen Zeitschriften mehr aufzulegen, weil solche sofort mitgenommen werden.
Das Sprichwort „Ehrlich währt am
längsten“ kennt man zwar noch, hält sich aber nicht mehr daran. Ganz nach
jenem Bonmot aus England: „Ehrlichkeit
ist ein schönes Juwel, aber ganz aus der Mode.“
Zum Glück hat Uta Rasche
bloss in Deutschland recherchiert. Die Schweizer sind sicher ehrlicher. Und die
Bürger der Freien Ferienrepublik Saas-Fee sowieso. Die einzigartige Berg- und
Gletscherwelt, die intakte Natur und die gesunde Luft haben doch sicherlich
einen positiven Einfluss auf das menschliche Verhalten. Fördern die
Ehrlichkeit.
Man nehme es mir nicht übel:
ich habe meine berechtigten Zweifel. Nein, ich werde die Zahl nicht
angemeldeter Reinigungskräfte, die nur schon mir bekannt sind, nicht sagen. Und
die Prozentzahl derjenigen, welche die Kurtaxe nicht korrekt abrechnen, behalte
ich auch für mich. Aber es gibt auch bei uns Belege: der Spezie Mensch scheint
auch in unsern Breitengraden die Tugend Ehrlichkeit abhanden gekommen zu sein.
Doch bei William Shakespeare (1564-1616) habe ich den inspirierenden und
hoffnungsvollen Satz gelesen:
„Keine Zeit ist so erbärmlich, dass man nicht wieder
ehrlich werden könnte.“
Christoph Gysel
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