Dienstag, 25. März 2014

Ein richtiger Brief



Kein schnelles E-Mail. Nein, ein richtiger Brief. Meine Adresse auf dem Couvert kunstvoll geschrieben. Neugierig öffne ich den Umschlag.



Denke allerdings, dass es sich um eine Reklamation handelt. Nörgeln sei nämlich in der Schweiz zum Volkssport geworden, habe ich eben im „Blick“ gelesen. Und der muss es ja wissen. Da wurde auch der Ombudsmann der Schweizer Reisebranche zitiert mit den Worten: „Es scheint hierzulande Sitte und Sport zu werden, in den Ferien – anstatt diese zu geniessen – nach vermeintlichen Unstimmigkeiten und Kleinigkeiten zu suchen.“ Also vorgewarnt beginne ich zu lesen. Wie vermutet, scheint der Absender ein mir unbekannter Gast der Freien Ferienrepublik Saas-Fee zu sein. Seit 28 Jahren komme er regelmässig zu uns. Fühle sich da wohl. Doch dann kommt nicht die erwartete Reklamation. Im Gegenteil. „Herzlich möchte ich mich für den spannenden Sagenabend von letzter Woche bedanken. Die ganze Familie war begeistert. Das absolute Highlight eines unvergesslichen Urlaubs war dies. Herzlichen Dank! Machen Sie weiter so!“


Von wegen ein Volk von Nörglern! Ein zufriedener Familienvater, der im Weiteren auch die grossartig präparierten Skipisten gerühmt hat. Und die wohltuende, natürliche Freundlichkeit der Buschauffeure. Auch dass er selbstverständlich wiederkommen werde in das kleine Paradies inmitten der grossartigen Viertausender. Die Freie Ferienrepublik Saas-Fee bietet offensichtlich alles, was Urlauber wünschen. Klar können auch wir uns noch verbessern. Für konstruktive Kritik bin ich deshalb dankbar. Angenehm sind allerdings auch positive, begeisterte Feedbacks zufriedener Gäste.



Klar, der Brief tat gut. Ein Dankeschön motiviert schliesslich. Ein freundlicher Brief beflügelt. Ist wie ein ansteckendes Lachen. Was mich wiederum an die Aussage von Joseph Adison erinnert:

„Was der Sonnenstrahl für die Blumen ist, das sind lachende Gesichter für Menschen.“







Christoph Gysel

Mittwoch, 12. März 2014

Fast kitschig…



Stahlblauer Himmel. Milde Frühlingssonne. Unglaublich viel Schnee, selbst in den Dörfern. Diese Tage präsentiert sich die Freie Ferienrepublik von der grossartigsten Seite. Postkartenmässig. Fast kitschig ist man versucht zu sagen…

Allerdings liebe ich diesen Kitsch. Kann mich kaum satt sehen an den klaren, tiefverschneiten Viertausendern. Staune über die imposante Gletscherwelt. Freue mich an den immensen Schneemengen. Bin begeistert von der Sonne, die so angenehm auf der Haut zu spüren ist. Einfach grossartig!

Natürlich könnte ich mich auch beklagen über meinen Sonnencrèmeverbrauch. Zum Glück bieten die Tourist Offices der Freien Ferienrepublik sogar ein eigenes Sonnenschutzmittel an. Aber dieses hat eben seinen Preis. Dazu musste ich mir bei diesen sonnigen Verhältnissen auch noch eine neue Sonnenbrille zulegen. Doch was soll’s. Ich gehöre nicht zu den destruktiven Menschen, „die nichts auf der Welt fertig machen ausser sich selber“ (Georg Thomalla über Pessimisten). Ich geniesse einfach diese einzigartigen Verhältnisse. Schreibe deshalb darüber in meinem neusten Blog. Tatort dieser Zeilen ist südlich von Zermeiggern, hinter Saas-Almagell. Mitten im Schnee.

Unverhofft werde ich aufgeschreckt. Eine Frau, gut sechzig, nähert sich mir und meinem Laptop. Leise, als ob sie die wunderbare Idylle nicht stören wolle, sagt sie fast geheimnisvoll: „Gellt, es ist hier einfach unglaublich schön. Fast unwirklich. Sie schreiben doch sicher darüber?“ „Klar“, habe ich wohl etwas unbeholfen geantwortet, „Worüber denn sonst? Ich kann mir im Moment nichts Schöneres vorstellen…“

Klar, der Leser kann diese Zeilen auch als Kitsch oder zumindest als sentimentales Gesülze empfinden. Ich kann dies verstehen. Aber wenn Sie heute mit mir, bei stahlblauem Himmel, milder Frühlingssonne, klarster Sicht, mitten im tiefen Schnee des Saastales wären, dann würden wohl auch Sie etwas kitschig reden. Weil es eben so unbeschreiblich schön ist. Da würden auch Ihnen die Worte fehlen. Ist ja egal. Ich geniesse weiter.





Christoph Gysel

Mittwoch, 5. März 2014

Sagenabend



Tief verschneit präsentiert sich das alte Dorf von Saas-Grund. Auf dem Friedhof gibt der Schnee nur noch die Spitzen der Holzkreuze frei. Gleich daneben: Kerzenlicht erleuchtet gespenstig das Saaserstübli, das älteste Wirtshaus im Saastal. Und da hinein huschen durch die Nacht immer mehr gut eingehüllte Gestalten.

Sagenabend ist angesagt. Das Saaserstübli im alten Dorf ist dazu der optimale Ort. Es präsentiert sich noch so, wie es in den 60-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verlassen wurde. Zusammen mit dem Kerzenlicht, der Nacht, dem Schnee und dem angrenzenden Friedhof wird man da in alte, spannende und auch etwas unheimliche Zeiten versetzt. Und dann kommt mein Auftritt. Ich darf alte Walser Sagen lesen und kommentieren. Das mache ich gerne. Menschen hineinnehmen in alte Zeiten. Als es noch kein elektrisches Licht, keinen Fernseher oder Computer gab. Hinein in das einzigartige Ereignis dieser Abendsitze. Da, wo sie sich früher in den langen Winterabenden getroffen haben. Und dann diese Geschichten erzählt haben. Von den armen Seelen, die nach ihrem Tod büssen mussten. Von Gratzügen, Hexen und unheimlichem Geschehen.

Letzten Donnerstag: Gut 40 Personen waren da, alle liessen sich hineinnehmen und waren sehr begeistert - was mir zugegebenermassen sehr gut tat… Aber da fragte einer zum Schluss: „Was ist denn deine Lieblingssage?“ Das brachte mich ein wenig in Verlegenheit. Natürlich liebe ich alle Sagen, wo der Pfarrer immer Bescheid weiss und eine Lösung bereit hat. Ich bin ja selber einer. Dann aber musste ich von der Geschichte erzählen, die mich effektiv seit Jahren beschäftigt und einiges über die menschliche Missgunst offenbart:
Da ging der Herrgott über Land. Traf einen Mann. Sagte zu ihm: Wünsche dir, was du willst. Ich werde es dir schenken. Nur, denke daran, dein Nachbar wird das Doppelte erhalten. Darauf sagte der Mann zum Herrgott: Nimm mir ein Auge, dann hat mein Nachbar keins mehr…

Missgunst. Neid. Wie anders wäre unsere Welt, wenn wir dem keinen Raum geben würden?

Es lohnt sich, sich mit den Walser Sagen auseinander zu setzen. Und den Neid nicht keimen zu lassen. Klar würde ich mich auch freuen, Sie an meinen Sagenabenden willkommen zu heissen.



Christoph Gysel, Tourismuspfarrer, Touristiker und Autor